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We count on you!

Seit vielen Jahren zählen wir. In den Museen im In- und Ausland zählen wir die Kunstwerke, die Frauen geschaffen haben, und setzen sie ins Verhältnis zu jenen ihrer männlichen Kollegen, die in den Sammlungen präsentiert werden. Auf dem Kunstmarkt nehmen wir Galerien und Messestände ins Visier und zählen die Künstlerinnen, die dort vertreten sind.  

Es braucht nicht viel Mathematik, um zu erkennen, dass Künstlerinnen – ob historisch oder zeitgenössisch – in der Minderheit sind. Für die Kunstgeschichte mag dieser Umstand noch erklärbar sein – Frauen wurden bis weit ins letzte Jahrhundert daran gehindert, einen Beruf zu ergreifen – auch den der Bildenden Künstlerin. Seit vielen Jahren qualifizieren sich mehr Frauen als Männer an den Kunsthochschulen. Doch die aktuellen Verhältnisse auf dem Kunstmarkt zeigen klar: Frauen bleiben auf der (Erfolgs-)Strecke, ihre Kunst erzielt geringere Preise und sie haben deutlich weniger Einzelausstellungen.

→ Welche Künstlerinnen kennen Sie?

Die Fülle an Künstlerinnen aller Zeiten ist enorm! Wir haben inzwischen eine Liste von bereits über 1.000 Namen von Künstlerinnen aus allen Epochen zusammengestellt. Seit 2014 sammelt AWARE, Archives of Women Artists, auf internationaler Ebene Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. Kein*e Kurator*in kann mehr behaupten, es gäbe keine Auswahl!

→ Wie viele Kunstbände über Künstlerinnen stehen bei Ihnen zu Hause?

Es gibt viel zu wenige Kunstbücher zu Künstlerinnen, denn viele von ihnen sind noch nicht erforscht oder aus der Vergessenheit geholt. Es braucht ein größeres öffentliches Interesse an der Kunst von Frauen, damit Verlage diese Bücher publizieren. Tragen Sie dazu bei und lassen Sie den x. Kunstband über Klimt und Co. stehen: Kaufen Sie Bücher über Künstlerinnen! Sie werden viele außergewöhnliche, inspirierende Lebens- und Karrierewege entdecken! Fangen Sie an mit The Story of Art without Men von Katy Hessel.

→ Welche Einzelausstellung einer Künstlerin haben Sie zuletzt gesehen?

Es ist erfreulich, dass es in Berlin in den letzten Jahren mehr Einzelausstellungen von Künstlerinnen gab – in der Berlinischen Galerie, in der Neuen Nationalgalerie und am Bröhan-Museum waren Frauen stark vertreten. Gegen Richter, Klimt und Liebermann kommen sie jedoch nicht an. Für Ausstellungen und Werbekampagnen dieser Männer werden Millionen ausgegeben. Können Sie sich an eine Ausstellung zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz 2017 erinnern - eine der bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts? Die Alte Nationalgalerie hat seit ihrer Wiedereröffnung 2001 bis heute keine einzige Einzelausstellung einer Künstlerin ausgerichtet. Da schauen wir Aktivistinnen neidisch auf das Ausland, wo kürzlich z.B. Goncharova, Fontana, Bonheur und Morisot gefeiert wurden. Schreiben Sie an Kurator*innen! Ist es nicht viel spannender, Unbekanntes zu entdecken, als den männlichen kunstgeschichtlichen Kanon mit den Immergleichen vorgesetzt zu bekommen? Sollte nicht gerade Berlin als (Kultur-)Hauptstadt hier mit leuchtendem Beispiel vorangehen?

→ Wie hoch schätzen Sie den Anteil von Künstlerinnen in öffentlichen Kunstsammlungen?

Künstlerinnenanteile variieren stark und sind abhängig von den Kurator*innen einer Sammlung oder Leitung eines Museums. So hat z.B. das Museum Barberini in Potsdam bislang kein explizites Interesse an Kunst von Frauen gezeigt, da es vor allem auf große Namen wie Picasso oder Monet setzt und damit die Kassen füllt. Auch die Alte Nationalgalerie mit gerade mal 1,5% Künstlerinnen-Anteil in der Schausammlung ist kein Vorbild moderner Ausstellungspraxis. Dagegen hat sich der Hamburger Bahnhof - Nationalgalerie für Gegenwart - in den letzten Jahren von 19% Künstlerinnenanteil gemausert und zeigt nun paritätisch, was Männer und Frauen in den letzten Jahrzehnten geschaffen haben. Dass es insgesamt schleppend vorangeht mit Kunstankäufen von Frauen aller Jahrhunderte, hat jedenfalls nichts mit dem fehlenden Angebot zu tun.

→ Warum sind Kunstwerke von Frauen weniger wert?

Dieser Frage sind u.a. die Journalistinnen Simone Horst und Kira Gantner mit ausführlichen Recherchen nachgegangen: Es gibt keine bessere Visualisierung in Sachen Geschlechterparität im Kunstbetrieb!

→ Können zeitgenössische Künstlerinnen nur dann erfolgreich sein, wenn sie kinderlos sind?

Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Erfolg im Kunstbetrieb, Familie und Care-Arbeit. Künstlerinnen, die Kinder bekommen – vor allem mehr als eines – werden vom Kunstmarkt leicht ausgemustert. Da künstlerische Arbeit auch heute noch als genialisches Produkt eines autonom lebenden Künstlers gilt, müssen Künstler*innen flexibel, mobil und möglichst bindungslos auftreten, um erfolgreich zu sein. Es gibt einen klaren Mangel an familienfreundlichen Förderungen und Residenzprogrammen und Vorurteile des institutionellen wie kommerziellen Kunstbetriebs gegenüber Künstlerinnen, die Mutter werden. Ausdrucksvoller Beleg für die Problematik ist die Kinderlosigkeit von 7 der 10 weltweit erfolgreichsten Künstlerinnen. Alle zehn zusammen haben drei Kinder. Ihre 10 männlichen Kollegen der Weltrangliste haben dagegen insgesamt 32 Kinder... Zahlen sagen mehr als Worte!

 

Trotz anders lautender Lippenbekenntnisse ist der Kunstbetrieb zu wenig innovativ. Gerne werden Erfolgsgeschichten reproduziert – und die sind seit Vasari (1) männlich. Hinzu kommen Vorurteile, Pomadigkeit oder schlichtweg Unbeweglichkeit in den Köpfen.

Vielleicht haben auch Sie eine Erklärung? Wir freuen uns über Ihre Reaktionen und antworten gerne!

We count on you!

 

 

(1) Giorgio Vasari, ein ital. Maler und Architekt, gilt als “Vater der Kunstgeschichte”, veröffentlichte 1550 die erste Sammlung von Künstlerbiografien - unter Einbeziehung nur einer einzigen Frau, Properzia de’ Rossi.